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"Kerers Saite", zuerst erschienen in der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten, mit freundlicher Genehmigung.

So sehr ich Musik liebe, sie kann auch schrecklich sein. Nämlich dann, wenn sie missbraucht und zur heimtückischen Waffe wird. Ob Hohenfriedberger Marsch, afrikanischer Kriegstanz oder rhythmische Endlosschleife: Seit es Krieg gibt wird er von Musik begleitet, und diese eigentümliche Verbindung hat fatale Folgen. Nur die Wirkung und der Einsatzzweck haben sich im Laufe der Jahre verändert. In der Antike und im Mittelalter ist die Nachrichtenübermittlung eine der wichtigsten Aufgaben der Kriegsmusik. In handy- und internetlosen Zeiten erforderten weite Entfernungen laute Töne. Als Signalinstrumente wurden Fanfaren und Trommeln eingesetzt, später Trompeten, Hörner und sogar Saxophone. Erst im frühen 19. Jahrhundert spielten die modernen Blechbläser wirkliche Melodien und nicht mehr bloße Signalfolgen. Die großen Musikcorps übernahmen im Zuge dessen zunehmend eine Repräsentationsrolle. Aber der Sinn der Klänge bleibt im Gefecht immer derselbe: Der Kampfgeist der Truppe soll gestärkt werden. Klänge und Rhythmen sollen den Kämpfer also in einen Blutrausch versetzen oder die Gegner zermürben. Musik kann den Verstand umgehen und direkt die Seele treffen. So schafften es Soldaten seit jeher, die Schrecken zu vergessen, die gerade um sie passierten. Diese Funktion haben auch die Nationalsozialisten für sich genutzt, deutsche Volkslieder und Märsche wurden ab 1933 gezielt von der Reichskulturkammer unter das Volk gebracht und entartete Musik verboten. Ausgewählte Musik wurde zum Opium für das Volk. Aber auch in den Schlachten des 21. Jahrhunderts wird Musik gezielt zur Leistungssteigerung eingesetzt. Im sogenannten „Krieg gegen den Terrorismus“ hat sie sogar neue Einsatzfelder erlangt. So wird Musik nicht selten als Folterinstrument genutzt. In Guantanamo gab es laut Zeugenberichten einen Raum mit Namen „The Disco“. In diesem Raum wurden Gefangene tagelang gefesselt im Dunkeln eingesperrt. Die einzigen Sinneseindrücke waren akustische. „White Torture“ (weiße Folter) nennt sich dieses Verfahren, denn es sind keine sichtbaren Spuren am Körper nachweisbar. Musik scheint dabei besonders effektiv, denn sie kann als psychisches, aber auch physisches Folterinstrument eingesetzt werden. Lautsstärken über 110 Dezibel rufen rasende Ohrenschmerzen hervor, von der unbeschreiblichen nervlichen Belastung ganz zu schweigen.

Aber dennoch gibt es das andere Bild, nämlich José Antonio Abreu, der in Venezuela vor vier Jahrzehnten das Projekt „El sistema“ gründete. 100.000 benachteiligte Jugendliche im ganzen Land bekommen dabei Musikunterricht und werden vor Gewalt und Perspektivlosigkeit bewahrt. Sein Erfolg wäre das beste Argument, um den Menschen im Gaza-Streifen Musikinstrumente statt Waffen in die Hände zu drücken. Die Klänge wären auf jeden Fall schöner.